Manipulator mit spitzer Schnauze
Im Forum-Theater werden Goethes “Reineke Fuchs” alternative Fakten verhandelt.
Von Cord Beintmann
Den Tieren reicht’s. Von König Nobel, dem Löwen, verlangen sie, den Bösewicht Reineke Fuchs vor das Gericht der Tiere zu laden. Diebstahl, Raub und Mord werden dem schwerreichen Typen mit der spitzen Schnauze vorgeworfen. Der Bär soll Reineke zum Gericht holen, wird aber von Reineke übelst behandelt, und auch dem Kater gegenüber benimmt er sich grausam. Der Fuchs ist ein Tier von bedenkenloser Brutalität. Irgendwann erscheint er dann doch vor Gericht, und da zeigt sich seine große Begabung, andere Tiere zu manipulieren.
Goethes Versepos „Reineke Fuchs“ von 1794, eine Nachdichtung des mittelalterlichen Epos „Reineke de vos“, hatte jetzt im Forum-Theater Premiere. Hannes Hartmann und Leonie Mohr (Ausstattung) haben die Bühne schön karg gestaltet, mit einer kleinen Tribüne für den König und einem Landschaftsbild auf der Rückwand. Ganz heutig sind die Kostüme, dazu tragen die Akteure Tiermasken aus Papier. Ausgerechnet Reineke Fuchs trägt ein blütenweißes Hemd mit weißer Fliege. Reineke ist der Archetypus des Schwätzers, Lügners und Fakten-Verdrehers. Der König verurteilt ihn zum Tode, doch Reineke gelingt es, die Situation vollständig zu drehen. Er behauptet, andere Tiere hätten eine Verschwörung gegen König Nobel geplant, und außerdem kenne er einen Schatz, dessen angeblicher Ort er Nobel verraten könne. Natürlich ist das alles dreist gelogen, doch der König glaubt Reineke, und der Lügen-Fuchs entgeht dem tödlichen Strick.
Nicht nur das Vermaß wirkt noch immer, auch die Inhalte sind noch zeitgemäß.
Danach mordet und raubt er lustig weiter und kommt wieder vor Gericht. Das Ergebnis des Prozesses ist dann geradezu absurd, wie dieses Stück überhaupt, das aber bloß sehr grell die Realität zu Goethes Zeiten ebenso wie heute beleuchtet. Michael Ransburg spielt Reineke, und er bekommt das ziemlich gut hin. Ransburg beherrscht diverse Tonfälle, schmeichlerisches Gesülze, pathetisches Gebrüll ebenso wie pseudosachliches Gesäusel. Martina Guse als Königin besticht durch sprechende Mimik und Körpersprache.
Dieter Nelle hat Goethes Epos als einleuchtende Mixtur aus grotesker Burleske und Gesellschaftsanalyse inszeniert, dabei locker und heutig. Erstaunlich ist, dass Goethes Hexameterverse heute noch wunderbar funktionieren. Die Dialoge laufen leicht und flüssig dahin. Was dabei nach 1794 klingt, wirkt eher amüsant.
Was soll diese Satire mit Tieren nun? Bei Goethe ging es um Kritik an der Feudalgesellschaft und auch ganz allgemein um Wahrheit und Lüge. Unerhört gut passt dieses Stück in die politische und die mediale Realität der Gegenwart mit Fake-News und „alternativen Fakten“. Mit Letzterem jongliert Reineke Fuchs brillant.
Stuttgarter Zeitung, 06.05.2017